Keiner will nach Thessalien
Kostas, der Sohn des Besitzers unseres griechischen Lieblingsrestaurants „Meteora“, hat uns diesen Insider-Tipp gegeben: Wir sollten mal Urlaub in Thessalien, genauer gesagt auf dem Pilion machen. Klar, dort, wo die Familie herkommt, ist es immer am schönsten. Aber als alter Griechenland-Hase hatte ich jenen Festlandstreifen zwischen Athen und Thessaloniki noch nicht auf dem Schirm. Gesagt – getan. Anfang Juli 2013 ging die Reise los. Gebucht wurde Easyjet bis nach Thessaloniki, ein Mietauto und ganz individual ein Hotel-Zimmer am südlichsten Zipfel jener Halbinsel, die gegenüber der Insel Skiathos liegt.
Das Ende der Speedyboarding-Ära
Das letzte Mal hatten wir die spätesten Flüge gebucht. Diesmal gehörten wir zu den Frühaufstehern. Unser Flug ging um 6 Uhr früh. Die Hälfte der fünf Geschäfte und Speisestätten war wie gewohnt geschlossen. Mehrere hundert Wartende drängelten sich um die einhundert Sitzplätze. Den Namen Flughafen verdient Berlin-Schönefeld nicht wirklich. Flugplatz mit Wartehalle wäre passender.
Wahrscheinlich wird das die nächsten Jahre auch so bleiben, weil man im neugebauten Flughafen-Areal alle zwei Monate neue Mängel findet. Der Berliner nennt den BER, der nach der krächzenden SPD-Ikone benannt werden soll, inzwischen Willi Brandschutz-Flughafen.
Der Weg ist das Ziel und unser Weg führte in das Easyjet-Wartezimmer für den Thessaloniki-Flug. Während die Fluggäste auf der einen Seite um die wenigen Sitzplätze herumstanden, saß ein einziger Passagier verlassen im eingezäunten Speedyboarding-Bereich.
Inzwischen ist man bei der Billig-Airline auf die Idee gekommen, gegen Aufpreis eine Sitzplatzreservierung anzubieten.
Was den einsame Speedyboarding-Boarding-Passagier dazu getrieben haben mag, wie ein Kaninchen im Gehege zu sitzen und von allen angeguckt zu werden, wissen wir nicht. Klar war nur, dass er als erster seinen reservierten Sitzplatz einnehmen durfte.
Mein Sitzplatz befand sich hinter einer Abiturientin. Ohne, dass ich ihren Sitz mit meinen Beinen auch nur berührte, beschwerte sie sich über meine angeblichen Kniestöße in ihren Rücken. „Könnten Sie das bitte lassen, mir dauernd ihr Knie in den Rücken zu stoßen“ wiederholte sie kurze Zeit später. Sie glaubte, ich würde ihren Sitz als Schlagpolster benutzen – für mich war klar, dass Easyjet eine Billig-Airline ist.
Bergtour mit Anke
Nach dem virtuellen Schlagtraining in acht Kilometer Höhe stiegen wir ins Auto um und begaben uns auf den 200 Kilometer langen Autobahn-Weg in Richtung Volos, um von dort auf die Halbinsel Pilion zu unserem Ferienort Mikro (weitere 60 Kilometer Landstraße) zu gelangen. Dafür nutzte ich meine Navigon-App als Handy-Navigationsgerät, die ich in Deutschland wegen ihrer Unzuverlässigkeit ausgemustert hatte. Aber hier war nunmal das Kartenmaterial für Griechenland enthalten. Also gab ich Anke eine zweite Chance. Das ist der Name der Navigations-Ansagerin.
Kurz vor der Stadt Volos wies uns Anke an, die Straße nach links in Richtung eines 1.000 Meter hohen Bergs abzubiegen. Was wir nicht wussten: Das war der Umweg über 70 zusätzliche Kilometer Serpentinen in schwindelerregender Höhe. Direkt 60 Kilometer vor uns lag eine harmlose Landstraße, die schnell nach Mikros führte. So peitschten wir die Berge hoch und runter und fragten uns, wie die anderen Urlauber wohl zum Südzipfel des Pilions gelangten.
Zweifelsohne fuhren wir durch eine wunderschöne Berglandschaft. Aber wir waren um 3.30 Uhr aufgestanden, landeten um 9.30 Uhr und saßen seit gefühlten zehn Stunden im Auto. Es war einfach nicht der richtige Tag für ausgedehnte Ausflüge. Als wir nach 70 Kilometern Berg-Ralley ein Schild mit der Aufschrift „Volos 32 KM“ entdeckten, war mir klar: Nie wieder werde ich mich auf Anke verlassen.
Mikro Kosmos in Mikro
Ein langer Weg bergab führte uns nach Mikro. Von oben sah dieser Ort sehr klein aus – daher wohl der Name. Unser Hotel hieß Mikro Beach und liegt nur 20 Meter vom traumhaften Sandstrand entfernt. Das Hotel wird von der sehr gastfreundlichen Familie Markozanis geführt, ist klein aber fein. Jeden Tag werden die Zimmer gemacht. Alles ist gepflegt und sauber. Jedes Zimmer besitzt Kühlschrank, Klimaanlage, Kachelboden eine schöne kleine Terrasse mit Blick auf das Meer. Das Frühstück nimmt man im Garten zwischen den Zitronenbäumen ein. Wer will, kann sich hier auch selbst verpflegen.
Erholung ist etwas Archaisches. Sonne, Strand, Wind und Wasser. Wir können uns in unserem Alltag mit noch so vielen High Tech Geräten und Luxusartikeln umgeben. Letztendlich macht bei schönem Wetter der Sandkasten und das Planschen im glasklaren Wasser am meisten Spaß.
Genau das findet man hier: Ruhe und Erholung. Keine Bettenburg weit und breit und alles sehr individual. Drei Tavernen, zwei kleine Hotels mit Meerblick und ein kleiner Laden. Ein 15-minütiger Wanderpfad führt in den Ort der Nachbarbucht, wo ein Boot für 25 Euro (morgens hin und abends zurück) zur Insel Skiathos übersetzt.
Ausflug auf dem Baikalsee
Dieses Boot haben wir genommen. Morgens um 9.00 brachte ein Reisebus die anderen Passagiere aus einem weit entlegenen Resort und mit an Bord waren Familien aus England, den USA, Frankreich, Griechenland und Russland. Sämtliche Klischees über die mitreisenden Nationalitäten passten hier wie die Faust aufs Auge.
Die beiden englischen Jungs sahen mit ihren Segelohren und Bleichgesichtern wie die Enkel des britischen Thronfolgers aus. Das pubertierende griechische Mädchen mit der großen Lockenmähne schmachtete während der gesamten Fahrt den etwa gleichaltrigen, adretten französischen Jungen an, als wäre er Justin Bieber.
Das US-Paar mit Baby war die ganze Zeit am Futtern und Daddies XXXL-T-Shirt präsentierte in Anlehnung an die guten alten Zeiten den Schriftzug „Peyote – for free hallucination“. Die Familie kam aus San Francisco.
Der etwa 50-jährige russische Papa aus Jekaterinenburg wirkte mit seinem T-Shirt mit der großen Rückenaufschrift „BRUTALE“, der dunklen Sonnenbrille und den Harley Davidson-Accessoires, als ob er gerade in seinen Nachtclubs die Banknoten eingesammelt hat. Die brauchte seine Frau nämlich, um mit Luxusartikeln ihr Leben unter dem Stiefel ihres Mannes zu kompensieren. Dieser schickte die mit Armani und Co gekleidete Gattin ganz selbstverständlich mit rüdem Befehlston unter Deck, um nach den kleinen Kindern zu sehen.
Meine Frau versteht Russisch, sei dazu angemerkt. Mit dabei war eine junge Dame, die mit ihren hohen Pumps und einem luftigen Stöffchen gekleidet war, als käme sie direkt aus Papas Nachclub. Sie hatte den Auftrag, alles, was der griechische Kapitän den Passagieren mitteilte, sofort und ebenfalls über Lautsprecher mit ihrer schrillen Stimme ins Russische zu übersetzen.
Somit erhielt die Fahrt nach und rund um Skiathos einen Hauch Baikalsee. Untermalt wurde die Veranstaltung von drei alten griechischen Damen, die sich mit der Zigarette im Mund lässig zu den Dancefloor-Rhytmen bewegten, die unsere russische Nachtclub-Diva auflegte. Wie gesagt, das Schiff lief nun unter russischer Flagge. Die Sippe hätte von Putin einen Orden für ihren vorbildlichen Auslandseinsatz erhalten müssen.
Die Familie aus der Seefahrernation hingegen konnte auf keine königliche Auszeichnung hoffen. Sie hing kreidebleich an der Reling. Jeden Moment rechnete ich mit einem Essensstrahl in meine Richtung – und dankte den Engländern insgeheim für ihr tapferes Durchhaltevermögen. Zu guter Letzt waren wir, aus Deutschland kommend, die pünktlichsten an Bord und erwischten uns immer wieder beim Meckern. Irgendetwas muss bei einem ja von der deutschen Kultur hängen bleiben.
Wir fuhren zuerst zum wahrscheinlich vollsten Strand der Insel, danach ging es nach Skiathos-Stadt, wo wir ein Foto von Kostas Lieblings-Pizzeria aufnahmen und am falschen Hafen wieder auf unser Boot warteten, das alle abholen sollte. 10 Minuten vor der Abfahrt kam es uns merkwürdig vor, dass wir die einzigen am vermeintlichen Treffpunkt waren. Im Laufschritt um die Ecke konnten wir noch in letzter Minute auf das abfahrende Boot springen.
Dann ging es zu einer kleinen Bucht, in der alle von der Schiffsleiter aus ins Meer springen durften. Nach der Bootsfahrt versicherte mir meine kreidebleiche Frau, nie wieder ein Boot zu nehmen. Vielleicht saß sie zu nah bei den Engländern.
Beinahe mit Malamas am Bergsee
Unser nächster Ausflug war ein ganz besonderer, bei den man die Vorgeschichte kennen sollte. Sokratis Malamas gehört seit langem zu unseren Lieblingssängern. Ich habe seine Musik das erste Mal vor etwa zehn Jahren in Rhodos in einer Bar gehört und kann seitdem schwer von seinen melancholischen Liedern loslassen. Als wir uns mit dem Sohn des Mikro-Beach-Hotels über Musik unterhielten, kamen wir zwangsläufig auf Malamas. In Griechenland wird der bescheidene, volksnahe Sänger hoch gefeiert. Er vereint alt und jung. Im Ausland trifft man ihn selten an. Jedenfalls erfuhr die Mikro Beach-Tochter zufällig über einen Facebook-Chat, dass Malamas etwa vier Autostunden entfernt in den Bergen direkt an einem malerischen See ein Konzert gibt. Malamas tritt in Griechenland nur an schönen Orten auf.
Nach einer 3,5-stündigen Autofahrt, die mit einem großen Misstrauen gegenüber unserem Navigon-Navi geprägt war, erreichten wir dann doch unser Ziel: Eine schicke Bergpension und ein riesengroßes Zimmer mit Ausblick über das gesamte Tal. Eine ältere Dame, die nur griechisch sprach, führte diese Unterkunft. Je weniger wir verstanden, umso mehr redete sie in Griechisch auf uns ein. Wir verstanden nur Bahnhof und dass Frühstück mit dabei war.
Am Abend sollte das Konzert um 20 Uhr direkt am See beginnen. Wir kauften frühzeitig die Karten, gingen schön essen und nahmen in pünktlich deutscher Manier als scheinbar einzige Touristen inmitten griechischer Familien um 19.30 Uhr vor der Bühne in der ersten Reihe Platz. Es begann zu tröpfeln. Rowdies zogen Planen über die Musikanlage. Erste Regenschirme spannten sich auf. Ein Mann huschte auf die Bühne, sagte etwas auf Griechisch und die etwa 300 Zuschauer standen auf und gingen zum Eingang, um sich das Eintrittsgeld wieder auszahlen zu lassen – wir machten es den anderen nach. Das war unser Malamas-Konzert in den Bergen.
Staatsbeamte auf der Flucht?
Am nächsten Morgen gestikulierte uns die Pensionsinhaberin in ihre Wohnung, wo andere Gäste – eine vierköpfige Athener Familie – am Frühstückstisch auf uns wartete. Es gab selbst gemachten Honig und andere lokale Spezialitäten.
Es stellte sich heraus, dass der Vater beim Verteidigungs- und die Mutter beim Kultusministerium arbeiteten und sie sich während der heißen Proteste gegen die Regierungspolitik in Athen für ein paar Tage eine Auszeit in den Bergen gönnten.
Ich fühlte mich etwas wie in Bulgakows Roman „Die weiße Garde“, in dem zaristische Offiziere während der Oktoberrevolution in einer Wohnung in Kiew die Lage abwarteten.
Es war aber spannend, auch die „andere“ Seite mitzubekommen, die der Meinung war, dass die Proteste in Athen nur wenig von der Landbevölkerung getragen würden und das Land eine Erneuerung brauche. Man spürte, dass auch sie als Staatsbeamte die Krise in ihrer Härte zu spüren bekamen und sie um ihre Stellen fürchteten.
Wieder zurück in Micro wusste unsere Hotelfamilie bereits Bescheid über das im Regen verunglückte Malamas-Konzert. Fortan wollte man uns auf dem Laufenden halten, wo der griechische Star sonst noch auftreten werde. Wir lehnten dankend ab. Es sollte ja kein Griechenland-Erkundungstrip, sondern ein Strandurlaub sein.
Power-Wandern im Pelion
Für Strandurlaube und auch zum Wandern ist dieser südliche Zipfel von Thessalien bestens geeignet. Eine Wanderung probierten wir aus. Natürlich ohne Karte, in der Mittagshitze bei gefühlten 40 Grad im Schatten und mit nur einer kleinen Wasserflasche ausgerüstet, wollten wir mal kurz eine kleine Runde laufen. Der Weg führte immer weiter bergauf und schlängelte sich durch die Berglandschaft. Anfangs sah er klein aus, dann entdeckten wir, dass wir es mit einer optischen Täuschung zu tun hatten. Nach drei Stunden endlosem Wandern in der Hitze entdeckten wir endlich einen Trampelpfad zurück an die Küste. Meine Frau, damals nicht unbedingt eine passionierte Trecking-Sportlerin, war begeistert. Ich war nur etwas erschöpft. Das Thema Wandern war nun vorerst abgehakt und der Fokus lag nun ganz auf dem Badestrand, dem wir bis zu unserer Abreise treu blieben.
Bulgakow again
Für den letzten Urlaubsabend hatten wir uns etwas Dekandenz gegönnt, um uns von Griechenland zu verabschieden: Ein schickes 4-Sterne-Hotel nahe Thessaloniki mit Sternenhimmel-Dinner am Pool und nächtlichem Panoramablick über die gesamte Region bis zum Meer. Auch hier fühlten wir uns wie in dem besagten Bulgakow-Roman. Tagsüber lungerte die örtliche High Society Jugend Sekt schlürfend am Pool und lauschte den chilligen Bassklängen, die eigens ein DJ auflegte.
Krise? Welche Krise?
Hat dich jetzt das Griechenland Fieber gepackt? Dann stöbere doch mal in unserem Reisebericht über Korfu rum, vielleicht inspiriert er dich.