Weihnachten 2013 im gelobten Israel
Ursprünglich wollten meine Frau und ich am ersten Weihnachtsfeiertag in ein warmes Land fliegen, um dort den Christbaum gegen eine Palme am Badestrand einzutauschen. Aber mit nur knapp einer Woche Urlaub braucht man nicht in Südostasien ankommen, da die Hälfte der Zeit für Flug und Jetlag-Verarbeitung draufgeht. Also fiel die Wahl auf den Nahen Osten. Israel stand schon länger auf unserer Liste, nicht nur wegen des wärmeren Klimas oder des heißen Nahostkonflikts.
Meltingpott Israel
Auf den durchaus komplexen Nahostkonflikt will ich hier nur soweit eingehen, als dass alle Seiten viele Federn gelassen haben und ich niemals das Existenzrecht Israels in Frage stellen würde. Was die großen Weltreligionen betrifft, so existieren auf unserem Planeten jede Menge christliche, buddhistische, muslimische und andere Staaten bzw. ganze Kontinente. Hier haben sich Christen, Buddhisten und Muslime richtig breit gemacht.
Aber für die Juden gibt es (gerade angesichts der Diaspora) auf diesem Planeten nur ein kleines Land, in dem sie ihre Kultur und Religion relativ frei leben können – und das im steten Kampf um ihre Sicherheit. Dieses Land ist gerade mal etwas größer als das Bundesland Brandenburg und nur zur Hälfte jüdisch – zur anderen Hälfte muslimisch, ferner christlich und drusisch.
Umzingelt von Feinden und in aller Welt Ressentiments ausgesetzt: Man kann davon ausgehen, dass es in der Welt weitaus mehr Antisemiten als Juden gibt. Diese Tatsachen werden oft gerne übersehen, wenn man vom Nahostkonflikt spricht. Mit antisemitischen Klischees und von verqueren Israelbildern sind wir alle mehr oder weniger behaftet, da nehme ich mich nicht aus – vor allem nach der Lektüre von Reiseforen über Israel.
Mit Sicherheit gelassen
In diesem Sinne bereiteten wir uns auf eine Reise in den Hochsicherheitstrakt Israel vor. Mit unserer Ankunft am Flughafen Ben Gurion erwarteten wir ein stundenlanges Verhör mitsamt einer umfassenden Durchsuchung unserer Handys, Tablets und Koffer. Dabei gab es gerade mal eine schnelle Passkontrolle. Das war’s dann schon. Wahrscheinlich kennt der Mossad Dank der NSA schon meine Reiseblogs und weiß, dass wir in guter Absicht reisen. Also ging es gleich weiter zur Autovermietung.
Die verloren geglaubte Zeit durften wir dann in der Schlange vor Hertz nachholen. Vor uns standen vier Wartende und es dauerte eine volle Stunde, bis wir an der Reihe waren. Die drei Hertz-Mitarbeiter am Counter fertigten die Kunden mit einer stoischen Gelassenheit ab, die ihresgleichen sucht. Als ich an der Reihe war, kam das Gespräch auf empfehlenswerte Sehenswürdigkeiten in Berlin. „Meine Schwester fliegt morgen dorthin,“ entgegnete die Hertz-Frau.
„Welche Orte sollte sie unbedingt aufsuchen?“ Glücklicherweise konnten die zehn Wartenden hinter mir wegen des Anstandsstreifens auf dem Fußboden unser Gespräch nicht mitverfolgen. Ich gab ihr die Tipps und sie mir nach zehn Unterschriften unter Kleingedrucktes die Autoschlüssel. Dann ging die Reise los.
Kibbuz oder Moshav?
Ohne Auto sieht man in Israel die spannendsten Gegenden nicht. Aber mit Auto sollte man unbedingt eine Unterkunft auf dem Land wählen. So hatte ich zuerst ein Hotel mitten in Tel Aviv gebucht, bevor mir ich las, dass es hier mehr Autos als Einwohner gibt und Parkplätze teurer als Mietwohnungen zu sein scheinen.
Dummerweise war es ein Hotel ohne Parkplatz. Also buchte ich auf ein Landhotel mit großer Parkplatzoption nahe Tel Aviv um. Dieses schickte uns eine Woche vor Urlaubsantritt eine Absage, weil „eine größere Gruppe“ anreisen würde.
Das fing schonmal gut an. Dann eben ganz woanders und wir mieteten uns in einem Apartment nahe der Golanhöhen in Galiläa (Hagalil) ein. Wir erwarteten ein Hotel und fanden uns in Israels erster Vegetarier-Siedlung „Amirim“ in einem kleinen Guesthouse mit großzügigen Zimmern mit Whirlpool neben dem Bett wieder.
Genauer gesagt war es ein ein Moshav. Das ist eine Art Kibbuz ohne Sozialismus aber mit Gemeinschaft und Privateigentum. Jeder wirtschaftet für sich selbst aber kümmert sich verantwortlich mit um die Gemeinschaft. Ein sehr progressiver Ansatz.
Wie fast alle jüdischen Dörfer ist unser Moshav mit einem großen Zaun und zwei Abschließbaren Zufahrten versehen, die nachts dicht gemacht werden. „Das ist bei uns wegen der Wildschweine,“ meinte der Vermieter. „Ok, Wildschweine“, dachte ich mir.
Das Erbe des Holocaust
Nach einem ökologisch einwandfreien, ausgiebigen Frühstück ging unser erster Ausflug am nächsten Tag zu Israels zweitgrößter Holocaust-Gedenkstätte – dem Lohamei Hagetaot. Das heißt „Ghetto-Kämpfer“ und wurde nach dem Krieg inmitten eines „deutschen“ Kibbuz von Holocaust-Überlebenden konzipiert und gebaut. Man sieht und hört hier multimedial die vielen Facetten des jüdischen Widerstands, der Vernichtungsmaschinerie und viele spannende Biografien der Gründer und anderer Protagonisten der KZ- und Ghettoaufstände sowie der Partisanenkämpfe. Hard stuff.
Nach vier Stunden und einer Betroffenheit um die vielen ermordeten Schicksale hat man dann doch ein komisches Gefühl, aus dem Land der Täter kommend in Israel mit so viel Offenheit aufgenommen zu werden. Sobald wir als Deutsche erkannt wurden, ist man uns niemals mit Feindseligkeit begegnet. Ganz im Gegenteil. Man muss dem hinzufügen, dass während und nach dem Holocaust nur 100.000 Juden aus Europa nach Israel gekommen sind.
Ein anderer Anteil der Überlebenden ist in die USA, nach Lateinamerika und in andere Teile der Welt emigriert. Die anderen jüdischen Bewohner Israels waren im Zuge der zionistischen Einwanderungswellen Anfang des 20. Jahrhunderts schon viel früher hier oder kamen in späteren Schwüngen dazu.
Albanien des Nahen Ostens?
Israel vereint vieles: Jahrtausendealte Kultur, die großen Weltreligionen, touristische Sehenswürdigkeiten, Party- und Nightlife-, Wander- und Strandurlaub sowie abwechslungsreiche Landschaften. Dieser Staat gilt weltweit als High Tech Metropole und man erwartet als verwöhnter Westeuropäer dort ebensolche Prunk- und Protzbauten. Aber dem ist gar nicht so. Vom Straßenbild her stelle ich mir Albanien genauso vor. Tel Aviv hat einen sehr abgerockten Eindruck auf uns gemacht. Das war für uns „Tirana“. Ebenso die kleineren Städte und Dörfer.
Prunk und Protz mag es in Israel auch geben, aber das fällt nicht ins Auge. Auf dem Land sieht man deutliche Unterschiede zwischen jüdischen, arabischen und drusischen Siedlungen, was Lebensstandard und Aufgeräumtheit angeht. Die Infrastruktur ist in Israel gut ausgebaut. Man gelangt auf gut asphaltierten Straßen selbst in die abgelegenen Winkel. Das Stromnetz war in machen Gegenden zwar zusammengebrochen, als Israel im Dezember 2013 vom Schnee überrascht wurde. Aber insgesamt ist man überall gut versorgt.
Bombenwetter in der Westbank
Wir rasten bei super Wetter und gefühlten 180 Km/h durch über die Landstraße entlang der jordanischen Grenze durch die Westbank. Wenn man durch die Westbank fährt, sieht man jede Menge Müll auf den Straßen und in den Feldern liegen. Auch sehr einfache Siedlungen mit Wellblechhütten kann man hier und da erkennen.
Die Millionensubventionen der EU scheinen in anderen palästinensischen Kanälen zu landen als in der Infrastruktur. Will man von der wenig frequentierten Nord-Süd-Landstraße, die entlang der jordanischen Grenze durch palästinensisches Gebiet führt, einen Abstecher in eines der Dörfer machen, so warnen Schilder israelische Bürger davor, diese (von Israel kontrollierte) Straße zu verlassen – Lebensgefahr.
Mietautos dürfen ohnehin nicht von dieser Straße abweichen. Mit israelischem Kennzeichen muss man keine Besichtigungstouren in PLO-Dörfern machen, um dann zu beteuern, dass man kein Jude ist. Wer es trotzdem tut, hat Glück oder ist etwas naiv. In diesem Sinne blieben uns die Westbank und der Gazastreifen verborgen, da wir nicht auf das Auto verzichten wollten.
Aber die palästinensische bzw. arabische Kultur bekommt man in Berlin ohnehin in den einschlägigen Vierteln sehr lebhaft mit. Die jüdische überhaupt nicht. Deshalb hatten wir für unsere Reise Israel und kein rein arabisches Land gewählt.
Akko
Der Norden ist bergig und grün, der Westen an der Küste besitzt viele Badestrände, aber auch Industriezonen und im Süden findet man Wüstenlandschaften und das Tote Meer. Nach der Gedenkstätte steuerten wir die alte Kreuzfahrerstadt Akko an. Sie liegt nördlich von Haifa ebenfalls am Meer. Heute ist sie mehrheitlich in arabischer Hand. Man kann dort zwischen den alten Templeranalgen spazieren und eine Gewölbe-Tour machen. Auf alle Fälle lohnenswert. Das Schawarma soll dort auch berühmt sein, meinte unser Vermieter.
Von den Golanhöhen nach Syrien gucken
Sehr eindrucksvoll sind die Golanhöhen. Wer dort querfeldein zum Wandern will, sollte den Minendetektor nicht vergessen. Es hängen zwar an manchen Zäunen Warnschilder, aber wer weiß, ob nicht Souvenirjäger sie an anderer Stelle abgeschraubt haben (wie schon in Kroatien festgestellt). Der Jom Kippur Krieg ist nach so langer Zeit immer noch präsent: Panzerwracks und Denkmäler zeugen von dem Überraschungsüberfall der Nachbarstaaten auf Israel, bei dem der Mossad geschlafen haben soll.
Ein Trauma, das vielen Israelis jahrzehntelang in den Knochen saß und sicherlich mitverantwortlich für die Militarisierung in der Gesellschaft ist. Das Militär ist im Alltag präsent, seien es nur die bewaffneten Rekruten, die an den Haltestellen auf ihren Bus warten. Entlang der Grenze zu Syrien sind alle möglichen Militärfahrzeuge unterwegs. Auch die UNO unterhält hier am Grenzposten eine Außenstelle. Man blickt von dort in eine andere Welt und kann als Tourist von Aussichtspunkten direkt die UNO, den Grenzposten und ein paar syrische Dörfer beobachten.
Drusen
Die Golanhöhen dienen nicht nur als strategischer Posten, um die Grenze zu Syrien und dem Libanon zu überwachen. Die Drusen sind hier zu Hause. Zuerst dachten, wir, es wären schwul-lesbische Dörfer, in denen eine Art Regenbogenflagge gehießt war. Aber es handelte sich um das Emblem der Drusen.
Sie wirken wie Moslems, sind aber keine, da sie an Wiedergeburt glauben. Mitten im Gebirge durften wir sogar einen ziemlich schlicht gehaltenen Drusentempel betreten und haben uns mit Händen und Füßen verständigt.
Der Tempelaufseher (oder Hausmeister?) war und hat aufgeschlossen: Ein kleiner Raum mit ein paar Teppichen und das Bild des Religionsführers an der Wand. Toller Blick vom Berg auf die gegenüberliegende Drusenfestung.
Wir bejubeln nicht unsere Siege. Wir bejubeln es, wenn eine neue Baumwollsorte gezüchtet wird und wenn die Erdbeeren in Israel blühen!
Lessing
Jerusalem
Wer gerne religiöse Festungen besichtigt, muss nach Jerusalem. Und natürlich nicht nur deswegen. Von den Golanhöhen durch die Westbank und mit einem sportlichen Fahrstil ist das in zwei Stunden zu schaffen. Die Altstadt Jerusalem ist aus Tausend und einer Nacht. Das drumherum sieht aus wie man sich eben Albanien vorstellt – nur mit Touristen.
Die Altstadt ist wunderschön mit engen Gassen, orientalischen Basaren, Ausgrabungsstätten und mittelalterlichem Ambiente.
In die Al Aqusa Moschee wollte man uns Ungläubige nicht lassen. An die Klagemauer durften wir: links der eingezäunte Bereich für Männer und rechts für Frauen.
Oben verdeckt auf einem Holzpodest: die Maschinengewehrposten beiden Geschlechts. Die einen beten, die anderen gucken und man fühlt sich hier vor Herodes Bauwerk etwas verloren.
Orthodoxie
Von der Klagemauer aus gelangt man ins jüdische Viertel, an dessen Eingang ein paar Orthodoxe lauern, einen begrüßen, herzeln, knuddeln, Freundschaft schließen wollen und dich nur dann weitergehen lassen, wenn du Geldscheine (Münzen nehmen sie nicht) für irgendeinen wohltätigen, nicht überprüfbaren Zweck abdrückst.
Ich sollte mindestens umgerechnet 20 Euro bezahlen, um aus dem Knuddel-Klammergriff zu kommen. Für heruntergehandelte 4 Euro ließen sie uns dann ziehen.
Die Orthodoxen prägen mit ihrem „Stettl“-Outfit das Straßenbild von Jerusalem. Bei den progressiven Israelis sind sie nicht beliebt, weil sie sich der Gesellschaft verweigern, keinen Job annehmen wollen, von Sozialhilfe und Spenden (auch aus dem Ausland) leben und den Militärdienst verweigern.
Außerdem erkennen sie paradoxerweise den Staat Israel nicht an, weil er nicht durch Gottes Fügung zustande gekommen ist.
Esskultur
Wie das in Tel Aviv ist, weiß ich nicht, aber anderswo haben wir mitbekommen: Die Esskultur ist eine völlig andere als bei uns. In Restaurants gehen nur die Wohlhabenden und Touristen – man zahlt dort etwa das Doppelte wie bei uns.
Dafür stimmt aber das Preis-Leistungsverhältnis, wie wir es in Tiberias am See Genezareth erlebt haben. In Petrus Heimatstadt haben wir den besten Fisch gegessen.
Üblicherweise kocht man zu Hause oder geht in den Kibbuz bzw. Moshav in die Gemeinschaftsküche. Alternativ isst man in den arabischen Imbissen.
Die sind zwar mit ihren Neonröhren und lieblosen Einrichtungen nicht einladend, dafür gibt es preisgünstiges und schmackhaftes Essen.
Ausgewiesene israelische Restaurants mit koscher Essen sind für Touristen schwer zu finden und so richtige jüdische Küchenklassiker konnten wir auf keiner Speisekarte entdecken. Was den Wein betrifft, so gibt es gute Sorten aus den Golanhöhen, Israels Weinkeller.
Auch Granatapfelwein dürften wir direkt beim Winzer testen. Schmeckt aber gewöhnungsbedürftig.
Immer wieder Israel!
In Israel sollte man unbedingt gewesen sein. Ein wunderschönes Land, in dem wir sehr freundliche Menschen kennengelernt haben. Kulturell ein absolutes Muss, religiös vielseitig und politisch spannend.
Eine Hochkultur aus einer Zeit, als in „Germanien“ die Jäger und Sammler gerade mal das Feuer entdeckten. Jeder Stein, den man in Israel umdreht, könnte irgendwie heilig sein, fast jeder Ort steht in der Bibel oder im Koran und der Mix aus High Tech, jüdisch-arabischer Kultur (darf man das sagen?) und jahrtausendealter Wirkungsstätten ist ein einmaliges Erlebnis – auch für „Ungläubige“!