Tschechien: Rübezahl meets Pavel Ploc
In Tschechien soll einst der Rübezahl unterwegs gewesen sein: Für die Nintendo- und Spongebob gepolte Jugend ein Fremdwort – für meine Generation ein Märchen-Held, der heute noch mittelaltes Publikum lockt. Im Winter ist diese Region insbesondere für die Tschechen und Polen der Wintersportort Nummer eins und im Sommer treffen sich hier Wanderer. Die Rede ist vom Riesengebirge, das wir Ende August 2015 bereisten, aber dann doch nicht wegen Rübezahl.
Polen und Tschechien sind als Urlaubsländer für Deutsche besonders preiswert. Der polnische Hotelstandard kann locker mit westlichen Ansprüchen mithalten. Oftmals sind die Hotels neuer und mit höherem Komfort ausgestattet als deutsche Hotels derselben Preisklasse.
Die Gastlichkeit ist überragend und landschaftlich sowie kulturell haben Polen und Tschechien viel zu bieten. Daher ist es verwunderlich, dass verhältnismäßig wenig deutsche Touristen in die östlichen Nachbarstaaten fahren.
Spätestens bei der Hotelsuche auf den einschlägigen Internet-Portalen beginnt das Staunen über die niedrigen Preise. Selbst im vielbesuchten Riesengebirge findet man auf der tschechischen Seite 4-Sterne-Hotels für insgesamt 30 Euro pro Nacht im Deluxe Doppelzimmer mit Frühstücksbuffet.
Die 4 Sterne sind bei näherer betrachtung dann doch etwas viel, aber die Zimmer sind modern, sauber und sogar mit Balkon und Bergblick ausgestattet.
Ein Apartment mit Selbstversorgung braucht man sich nicht zu nehmen, denn Essen gehen kostet genausoviel wie einkaufen zu gehen. In Tschechien bekommt man für 12 Euro zwei große Hauptgerichte und das berühmte böhmische Bier kostet ebenfalls wenig.
Wer von Berlin aus in das Riesengebirge fährt, sollte den Weg über Dresden und dann direkt nach Tschechien nehmen. Hintergrund: Die Autobahn von Cottbus in Richtung Breslau scheint auf polnischer Seite seit 1945 nie erneuert worden zu sein. Hier braucht man für die ersten einhundert Kilometer einen Geländewagen oder man bewegt sich von Bodenwelle zu Bodenwelle im Schneckentempo.
Von einem Mietauto sollte man absehen, denn die meisten Vermieter verleihen ihre Autos aus Diebstahlgründen nicht dorthin (siehe den polnischen TV-Witz: „Komm‘ nach Polen – dein Auto ist schon dort!“). Wer einen Touran, Audi oder BMW besitzt, sollte stets bewachte Parkplätze benutzen, wenn er sein Auto nicht in Russland, Aserbaidschan oder Turkmenistan suchen will. Welche Wagentypen dort gerade in Mode sind, sieht man unter anderem an den Autos der jeweiligen Führungsclique. Vielleicht ist die Angst vor Autodieben einer der Gründe, warum viele deutsche Urlauber den Osten meiden.
Polen und Tschechien: Ostalgie war gestern
Wir meiden den Osten nicht, sondern ganz im Gegenteil, sind wir leidenschaftliche Wochenend-Urlauber, was die östlichen Nachbarstaaten angeht. Beide Länder haben ohne „Solidaritätszuschlag“ eines westlichen Landes (wie es bei der ehemaligen DDR der Fall war) innerhalb von zwei Jahrzehnten einen Quantensprung vom ostalgischen Bauernstaat hin zu Staaten mit westlichen Standards geschafft, wenn man mal von der „Breslauer Autobahn“ absieht. Das merkt man auch am Internetzugang.
Während man in den meisten deutschen Dörfern höchstens mit „Edge“ surft und beim Seitenaufbau eine lange Kaffeepause machen kann, surft man in Polen oder Tschechien im tiefsten Wald mindestens mit 3G. Das sollte eigentlich die Jugend auf den Plan rufen, dort ihren Urlaub zu verbringen. Neuesten Umfragen zufolge ist der Internetzugang für die deutschen Teenager einer der wichtigsten Gründe für die Wahl des Urlaubsortes.
Wer meint, dass Deutschland für die Polen und Tschechen auf Platz eins als kulturelles und wirtschaftliches Vorbild steht, liegt falsch. Ebensowenig sprechen viele Einwohner unserer osteuropäischen Nachbarstaaten Deutsch. Man spricht Englisch. Auf Platz eins sind die Engländer und US-Amerikaner.
Vielleicht erst dann kommen neben anderen Mitteileuropäern die Deutschen. Das mag auch historisch begründet sein, da zumindest in Polen der Nationalsozialismus noch zur jüngsten Geschichte gehört und hier sensible Antennen ausgefahren werden, wenn deutsche Prominente wie Martin Walser einen Schlussstrich unter die Debatte über Holocaust und Kriegsverbrechen gezogen haben wollen.
In England amtierte während des Zweiten Weltkriegs die polnische Exilregierung und ebenfalls in die USA sind viele Polen ausgewandert. Das ist bis heute im dankbaren Bewusstsein vieler Polen. Die Russen sind aufgrund ihrer stalinistischen Zwangsumsiedlungen und Säuberungen weitgehend verhasst und gegenüber den Deutschen hat sich das Verhältnis in den vergangenen Jahrzehnten gebessert.
Nicht zuletzt, weil viele Polen aus den Grenzregionen nach Deutschland zum Arbeiten, Pendeln oder ganz hergezogen sind. Wer sich Berlins Baustellen und die dort zur Schau gestellte Untätigkeit ansieht, wünscht sich möglichst viele fleißige polnische Bauarbeiter in die Hauptstadt – diesen Ruf haben die Polen zumindest in diesem Berufszweig. Aber wir kommen von unserem Thema ab – dem größten Gebirge zwischen Polen und Tschechien.
Ab in's Riesengebirge
Nach einer Schüttelfahrt über die besagte polnische Autobahn gelangten wir spätnachts in unser 4-Sterne Hotel im tschechischen Harrachov, nahe der polnischen Grenze. Die Mitarbeiterin am Schalter wartete extra auf uns. Es war übrigens die selbe Hotelangestellte, die morgens das Frühstücksbüffet versorgte und spätabends an der Hotelbar Cocktails mixte. Ein verlängertes Wander-Wochenende sollte es werden.
Die Schneekoppe kannte ich als Kind aus der Fernsehwerbung (Slogan: „Schneeee-Koppe“) und wusste damals nicht, dass es sich um den höchsten Berg Tschechiens (1.603 Meter) handelt. Ich wusste noch nicht einmal, dass Tschechien überhaupt Berge hat – auch, wenn Schweizer, Österreicher, Amerikaner und Kanadier sicherlich einwenden würden, dass man besser von größeren Hügeln sprechen sollte. Die Schneekoppe hochlaufen war unser erstes Ziel.
Von der tschechischen Seite aus gelangt man von Pec Pod Snetzcou („Petzer“) mit dem Sessellift oder zu Fuß auf den Berggipfel. Wir entschieden uns für die Wanderung und die Frau im Touristinfo stellte uns drei Routen zur Auswahl: leicht, mittel und anspruchsvoll. Wir wählten anspruchsvoll. Schließlich wollten wir nicht mit dem Rollator hochspazierten.
Drei Stunden später sah man eine hochsportliche Wandersfrau mit einem trabenden Schnaufkameraden im Schlepptau, die sich in Richtung Gipfel bewegten. Wie eine Fatamorgana tauchte vor den beiden etwa 200 Meter unterhalb des Gipfelkreuzes ein großes Wirtshaus auf, das für die Gäste frisch gezapftes Pilsener bereithielt. Wie ein Ertrinkender nahm ich dieses Angebot an – wie viele andere Wanderer. Dazu eine Riesenbratwurst. Ich hörte mich vor lauter Begeisterung nur noch „Schneeeee-Koppe“ sagen. Meine Liebste nippte mal von der kühlen Köstlichkeit und drängte sofort zum Weitermarschieren. Drei Stunden später erreichten wir unser motorisiertes Rettungsboot auf dem Parkplatz und fuhren zurück nach Harrachov, wo Pavel Ploc auf uns wartete.
Zu Gast bei Pavel Ploc
In Harrachov suchten wir nach einer gemütlichen Restauration, um den anstrengenden Tag gebührlich mit böhmischen Knödeln, Bier und Braten zu feiern. Wir wurden fündig. Das Restaurant hieß Pavel Ploc und im Inneren waren die Wände voll mit Fotos, Urkunden und Autogrammkarten. Wer zum Teufel war Pavel Ploc? Die einzigen tschechischen Prominenten, die ich kenne, sind Karel Gott (der die Biene Maia besingt), der Zweimeter-Fußballer Jan Koller und der Politiker Vaclav Havel – Lolek & Bolek sowie Pan Tau nicht zu vergessen. Meine Frau als ehemalige Leistungssportlerin kannte Pavel Ploc natürlich: die tschechische Skisprung-Legende – 10 Weltcoupsiege und Olympia Silbermedaille – heute Politiker bei den Sozialdemokraten.
Wir hatten Glück. Ein sportlich aussehender Mittvierziger betrat das Lokal, neben ihm ein junger Mann mit langen Rastalocken. „Das ist er!“, flüsterte uns die Kellnerin ehrfurchtsvoll zu. „Mit seinem Sohn.“ Von einem Autogramm-Wunsch sah ich dann doch ab, da ich mich nicht wirklich für das Skispringen interessiere und aufgesetzte Gespräche meide. Was soll man außerdem mit einer Autogrammkarte, außer sie bei eBay zu verkaufen? Da Pavel Ploc (im Übrigen ist er Jahrgang 1964) weder Lionel Messi noch Madonna ist, hätte sich der Verkauf wahrscheinlich auch nicht gelohnt. Aber ein Nationalheld ist er für die Tschechen allemal und sein Restaurant kann man durchaus weiterempfehlen. Es ist gemütlich, hat gute Steaks, Knödel und Bier – der Preis stimmt.
Tschechien und Polen immer wieder gerne
Am nächsten Tag entschieden wir uns für eine kleinere Wandertour, die in Harrachov losging und wieder endete. Wir sprechen von nur drei Stunden hoch und herunter. Diesmal mit Wasserfall, fast leeren Wanderwegen und ebenfalls schönem Wetter. Deutsche Touristen haben wir auch unterwegs gesehen, sie aber genausowenig wie die Tschechen verstanden: Sie kamen aus Sachsen. Das liegt gleich nebenan und von hier scheinen – von uns abgesehen – die einzigen Teutonen zu kommen, die man hier antrifft.
Über Sachsen fuhren wir dann zurück nach Berlin. Das ist die bessere Stecke. Gerne kommen wir wieder – Tschechien und Polen sind nicht nur Preiskracher, sondern kulturell, landschaftlich und touristisch stets ein Highlight.
Unsere Unterkunft-Empfehlung für entspannte Nächte
Pytloun Hotel Harrachov* | Harrachov
Super Preis-Leistungsverhältnis – sauber, komfortabel, tolle Lage! Für tschechische und örtliche Verhältnisse ein superklasse 4-Sterne Hotel – absolutes klasse Preis-Leistungsverhältnis – bei ca. 25 EUR/Nacht darf man nicht meckern! Zimmer waren sauber, Aussicht im Deluxe Zimmer sehr schön, Ausstattung gut und ruhig gelegen. Aktuell werden Parkplätze gebaut – das bekommt man aber nicht wirklich mit.
Sehr freundliches und fleißiges Personal. Man hat sogar trotz verspäteter Ankunft um 0.00 Uhr auf uns gewartet. Frühstück war für 6 EUR/Nacht absolut angemessen. Vom Hotel aus geht direkt ein Wanderweg zu den Wasserfällen. Wer ein 4-Sterne Komfort wie in vielen westlichen Ländern erwartet, sollte etwas herunterschrauben und ein Auge aufgrund des unschlagbaren Preis-Leistungs-Verhältnisses zudrücken.