Wir folgen dem Ruf Colorados
Wer gerne in die Staaten reist, kommt an den Fototapeten-Staaten Colorado und Utah nicht vorbei. Auch meine Frau und mich hatten die eindrucksvollen Fotos in Bann gezogen, die man bei der Google-Bildersuche aufruft, wenn man die Namen dieser Bundesstaaten eingibt. Außerdem ist Colorado angeblich der Sportlichste aller US-Bundesstaaten. Wegen der vielen Berge und der permanenten Höhen über 1.000 Meter; selbst im Flachland. Auch das reizte uns.
Berge, Sport und Panorama. Unser Plan: Mit British Airways (BA) nach Denver fliegen und von dort aus mit einem großen Auto die weite Runde durch die Wüsten, Steppen und Berge drehen. Außerdem wollten wir an der Grenze zu New Mexico Freunde besuchen. Mitte Mai 2015 ging die Reise los.
In London stiegen wir erwartungsvoll in den BA-Flieger. Uns erwartete eine Boeing 747 aus dem letzten Jahrhundert. Wie sich herausstellte, konnte sie noch fliegen. Vor uns je ein Monitor in doppelter Smartphone-Größe, auf dem gleich zwei deutschsprachige Filme gezeigt wurden. Nach 10 Stunden landeten wir am Abend in Denver. Das liegt in etwa 1.000 Metern Höhe – also weitaus tiefer als die meisten anderen Orte in Colorado und seinen Nachbarstaaten. Daran muss man sich erstmal – aus dem flachen Berlin kommend – gewöhnen.
Denver: Frecher Vermieter
Wieder führte unser Weg zu Alamo, der Autovermietung. Diesmal hatte ich einen SUV „Jeep Grand Cherooke oder vergleichbare Größe“ gebucht. Viel Shoppen, viel Gepäck, viel Platz, lange Strecke – großes Auto, dachte ich mir dabei. Der anfangs freundliche junge Alamo-Agent aber hatte für uns einen kleineren Honda-SUV bereitgestellt. „Das ist das einzige Modell in dieser Kategorie, das ich Ihnen geben kann“, versicherte er mir.
Also nichts von wegen üblicher Auto-Auswahl zwischen zehn verschiedenen Modellen mit Probesitzen und Qual-der-Wahl-Aussuchen. Ich wollte aber den Honda nicht und auch keinen Aufpreis für ein anderes Modell bezahlen und diskutierte. Dem Mitarbeiter riss allmählich der Geduldsfaden. „Wir werden die Situation zu Ihrer Zufriedenheit lösen“, versprach er mir, gab mir seine Karte und genervt setzte ich die üblichen Unterschriften unter unbekanntes Kleingedrucktes.
Ich entschuldigte mich kurz für meine schlechte Laune. Nach insgesamt 16 Stunden Reisezeit war ich etwas übermüdet. Wir gingen auf den Hof zum Auto und er präsentierte mir ein anderes, größeres Modell. Einen Benzin-fressenden Dodge.
„Das ist ein kostenfreies Upgrade für Sie, aber heulen Sie nicht wie ein Baby“, gab mir der Mitarbeiter frech zu verstehen. „Andere Leute haben größere Probleme als die Wahl eines Autos. Ich zum Beispiel war noch nie außerhalb der Vereinigten Staaten im Urlaub. Genießen Sie Ihre Reise und hören Sie auf zu meckern.“
So deutliche Worte hatte ich noch nie von einem Mitarbeiter einer Autovermietung gehört. Das ist doch mal Kundenservice dachte ich mir und wir fuhren mit dem großen Benzinfresser in Richtung unseres ersten gebuchten Hotels, das etwa 100 Kilometer entfernt in Colorado Springs lag.
Am nächsten Morgen sollten wir auf halber Strecke wieder zurück in Richtung Denver fahren. Welcher Schwachkopf kann so etwas nach 12 Stunden reiner Flugzeit planen, dachte ich mir. Mir fiel ein, dass ich es war. Anstatt die 100 Kilometer völlig übermüdet nach Colorado Springs zu fahren, mieteten wir uns spontan im La Quinta Inn in Castel Rock ein. Pech gehabt mit dem anderen Hotel.
Am nächsten Tag gut ausgeschlafen wurde mir die Frechheit des Alamo-Mitarbeiters richtig bewusst und ich kramte die Visitenkarte mit seiner E-Mail-Adresse aus meiner Hosentasche. Ich schrieb ihm, dass ich es sehr entgegenkommend fand, mir ein kostenfreies Upgrade zu geben. Das gebe ihm aber nicht das Recht, mich zu beleidigen. Schließlich arbeite auch ich, um mir so ein Auto zu leisten und als Kunde bezahle ich seinen Job mit. Gerne könne er über sein Verhalten nachdenken und sich bei mir entschuldigen – damit wäre die Sache für mich in Ordnung.
Ich schickte die E-Mail ab und unser Weg führte (wie immer bei unseren USA-Besuchen) zuerst in die heiligen Shopping-Hallen – diesmal von Castle Rock. Nach vielen gymnastischen Übungen in sämtlichen Umkleidekabinen und Jogging-Runden durch die Shops piepste mein Smartphone. Es war eine Entschuldigungs-Antwort des örtlichen Alamo-Managers, der meine E-Mail gelesen hatte. Scheinbar handelte es sich nicht um die „persönliche“ Mail-Adresse des frechen Mitarbeiters sondern um die der ganzen Filiale. Das war mir unangenehm, da ich die Sache erst mit dem Mitarbeiter persönlich klären wollte. Jeder sollte seine Chance erhalten, sich zu entschuldigen, bevor man eine Etage höher vorstellig wird. Sofort dachte ich an jene Rubrik des SZ-Magazins, in dem wöchentlich Gewissensfragen diskutiert werden.
„Was ist, wenn der Mitarbeiter wegen mir (oder eben wegen seiner Frechheit) seinen Job verliert?“ Die Frage beschäftigte mich und ich schrieb dem Manager, dass ich lediglich eine Entschuldigung und keine weiteren Konsequenzen möchte und wir schließlich alle mal Fehler machen. Eine Antwort blieb aus. Die Reise in den Westen fängt ja wild an, dachte ich mir und wir fuhren weiter in den Süden in eine Kleinstadt zu unseren amerikanischen Freunden.
Trinidad und nicht Tobago in Colorado
Wyatt Earp war hier mal Sheriff. Billy the Kid wuchs in der Nähe auf. Die Stadt galt bis 1880 (seit es zu Colorado gehört) und darüber hinaus als Treffpunkt für Gesetzlose, Revolverhelden und Glücksspieler. Auch führten große Siedlertrecks durch diese Gegend, bis die Eisenbahn kam. Die Rede ist von Trinidad in Colorado, das direkt an der Grenze zu New Mexico liegt.
Anfang des 20. Jahrhunderts fand man hier Kohlevorkommen und die Stadt boomte. Im Zweiten Weltkrieg beherbergte Trinidad ein Kriegsgefangenenlager, in dem deutsche Soldaten interniert waren. Später wurde der Kohletagebau eingestellt, viele Arbeiter mussten fortziehen, um woanders einen Job zu finden und es es folgten wirtschaftlich schlechtere Zeiten. Dann siedelte sich eine plastisch-chirurgische Klinik an und Trinidad wurde zum Zentrum für Geschlechtsumwandlungen in den USA. Das brachte wieder Geld in die 10.000 Seelen-Gemeinde. Schließlich setzten sich die Konservativen durch und die Klinik musste 2011 schließen. Zuletzt entdeckte man Methangas in der Gegend um Trinidad und begann, es in den 1990ern mit der äußerst umstrittenen Frackingmethode zu fördern.
Ein Erdbeben der Stärke 5.8 (Richterskala) in Trinidad im Jahre 2011 und die Gefahren des Fracking für das Trinkwasser führten zu einer hitzigen Debatte und letztendlich zur Einstellung des Frackings bzw. der Methangas-Förderung. Nun werden in Trinidad neue Einnahmequellen gesucht, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Dabei würde sich diese pittoreske Kleinstadt, die in 1.800 Metern Höhe inmitten einer abwechslungsreichen Berglandschaft nahe eines Sees liegt, sehr gut für den Wander-Tourismus eignen. Man entdeckt hier hoch in den Bergen neben Bären, Hirschen und Adlern viele Laubbäume und sogar eine Kakteenart. Auch kulturell hat Trinidad neben seinen Marihuana-Shops (das ist in Colorado übrigens legal) einiges zu bieten.
Noch heute kann man die Gebäude aus der Wildwest-Zeit bewundern und das Stadtbild besitzt einen einzigartigen Charme, der untypisch für das moderne Nordamerika ist: Kleine Läden, eine historische Altstadt mit kleinen Straßen und rundherum eine schnucklige Wohngegend auf den umliegenden Hügeln und Bergen. An einem dieser Hügel wohnen unsere amerikanischen Freunde, die wir besuchten. Uns erwarteten ein großartiges Frühstück und jede Menge spannender Geschichten aus den USA und aller Welt. Entgegen vieler USA-Klischees ist unser befreundetes Ehepaar nicht fernsehsüchtig, ernährt sich mit regionalen und Bioprodukten sehr gesund, treibt Sport und ist belesen. Es gibt in ihrem Haus sogar eine kleine Bibliothek. Ähnlich wie wir reisen sie gerne und viel zu kulturell interessanten Orten.
Nachdem wir Trinidad kennengelernt und in unser Herz geschlossen, und einen wunderschönen Tag mit sehr leckerem Abendessen bei unseren Freunden (die wir später noch einmal treffen sollten) verbracht hatten, zogen wir am nächsten Tag frühmorgens weiter, um über einen Umweg durch New Mexico nach Blanding, Utah, zu gelangen.
Schwarzenegger: ‚Nein, zwischen Colorado und Kalifornien liegt immer noch Utah.‘
Randy: ‚Oh. Gut, aber wenn auch Utah von New Jersey erobert wird, wer kommt dann?‘
Schwarzenegger: ‚Nevada.‘
Randy: ‚Ach wirklich? Und weißt du was dann passiert? Dann ist die Steiermark dran!‘“
New Mexico und Easy Rider
Der Weg führte über eine tiefe Schlucht des Rio Grande nach Taos, einer kleinen verschlafenen Hispano- und Indianerstadt in 2.100 Metern Höhe, die durch ihre eindrucksvolle Adobe-Bauweise auffällt. Es gibt an den lehmbraunen, kleinen Häusern kaum Ecken und Kanten.
Alles ist abgerundet wie ein Hobbit-Haus ohne Strohdach. In der Indianerstadt kann man Donald Rumsfeld und auch Julia Roberts über den Weg laufen (falls sie nicht wie die meisten Amis mit dem Auto von Shop zu Shop cruisen). Beide leben dort.
Wir trafen sie aber nicht, sondern hielten an, um in einem alten Hippie-Cafe Rast zu machen. Angeblich verkehrten dort in den 50er Jahren die Beatnicks. Vielleicht war das einer der Gründe, warum in Taos der Film Easy Rider gedreht wurde und man hier das Grab von Dennis Hopper findet. Der Latte Macchiato schmeckte trotz aller Prominenz schrecklich und wir setzten unsere Reise fort.
Durch Ted Turner Country
Ganz wie bei Easy Rider, nur mit Auto, fuhren wir bei klarem Himmel und brennender Sonne in die Weiten New Mexicos in Richtung Blanding – durch Milliardärs-Gebiet.
2.500 Quadratkilometer im Norden von New Mexico gehören dem Medienmogul Ted Turner (mit seinen 8.500 qkm ist er der zweitgrößte Grundbesitzer der USA) Der CNN- und MGM-Besitzer züchtet auf seinem Land 50.000 Büffel, um sie später als Bio-Steaks zu verkaufen. Dass seine Tiere viel Platz haben bemerkt man spätestens, wenn man die Panorama-Landstraße Route 64 entlang fährt: Unendliche flache Weiten bis über den Horizont – wie im Kino. Man fährt knapp 200 Kilometer ohne eine Siedlung zu sehen.
Stattdessen steppiges Weideland und wüstenähnliche Hügelformationen. Hier und dort ein paar Büffel oder auch Rehe. Die Höhe trotz der Weite dieses Landes: stets 1.500 bis 2.000 Meter. Hier wird der Büffel topfit. Am Ende der Strecke fuhren wir durch ein Navajo-Reservat, das sich optisch kaum von anderen Gegenden unterschied, um in den Mormonen-Staat zu gelangen.
Endstation Blanding in Utah
Dieses verschlafene Nest am Rande zahlreicher Ausgangspunkte für Wanderungen hat wenig zu bieten.
Ein Diner, drei Tankstellen (die außerhalb des Dorfes verkauft Bier) und ein Supermarkt. Der Ort wirkt etwas trist und könnte angesichts der durchreisenden Touristen mehr aus sich machen. Im Diner trafen wir auf ein junges deutsches Paar, das eine Rundreise von Los Angeles über Phoenix und dann Blanding zu den nördlichen Nationalparks Utahs unternahm.
Der junge Mann prahlte mit seinem Midsize SUV, der neben unserem Dodge wie ein Kleinwagen wirkte. Aber diese Bemerkung konnte ich mir verkneifen.
Gebucht hatten wir bei Blanding eine schöne Berghütte mit Selbstversorgung inmitten der Natur. Als wir am Abend ankamen, begrüßte uns der freundliche Besitzer und wir landeten in einer kleinen Kammer (eine halbe Blockhütte) mit 3 Betten und einer kleinen Gasheizung. Sonst nichts. Keine Küchennische, kein eigenes Bad, keine richtige Heizung (nachts ist es auf 2.200 Metern etwas kälter). Das Bad/WC war in einem Verschlag gegenüber. Drumherum grasten Rehe und der Blick in die Berglandschaft war sehr schön.
Davor eine Lagerfeuerstätte und ein Grill. Bis vor 10 Jahren wäre das absolut mein Ding gewesen. Heute hat man sich an gewisse Standards gewöhnt, wenn man für so eine Unterkunft genauso viel bezahlt wie für ein größeres Zimmer mit Frühstück im La Quinta Inn. Abenteuer ja, aber nicht mit abenteuerlichen Preisen. Also falsche Baustelle, dachte ich mir. Wir blieben hier nur eine Nacht am Lagerfeuer und buchten dafür bei unserer nächsten Station einen Tag hinzu.
Wow in Route US-95 und Glen Canyon
Wieder wählten wir einen Umweg, um an unser nächstes Ziel (St. George, Utah) zu gelangen. Er stellte sich als absolutes Panorama-Highlight heraus: über die US-95 durch den Glen Canyon und Capitol Reef Nationalpark vorbei an Torrey, dem Bryce Canyon und auf den Highway 12. Diese Route ist der absolute Geheimtipp und zeigt alles, was Utah landschaftlich zu bieten hat: Schneelandschaft in 3.000 Metern Höhe, Wüstenähnliche Steppen mit bizarren Felsformationen, endlose Sandsteingebirge, Birkenwälder, und jede Art von Steinen in den mächtigen Gebirgen. Mit anderen Worten: Die Alpen, die Pyreneen, das Elbsandsteingebirge und peruanische Hochplateaus auf einer Route: und das im XXL-Format. Wir wurden ganz heiser vor lauter „Wow“- und „Guck mal da“-Ausrufen. Am Ende krächzten wir, wie schön das alles ist.
Vor lauter Panorama-Optik kamen wir kaum vorwärts, denn alle paar Kilometer hielten wir an, um stets eindrucksvollere Fotos zu machen. Nun wurde uns klar, warum man bei uns die US-Amerikaner nur in Neuschwanstein und kaum auf anderen Bergen findet. Was soll sie dorthin locken? In Colorado, New Mexico und Utah haben sie viel eindrucksvollere Gebirge und vor allem: viel mehr Platz. Keine Menschenseele weit und breit – keine Dörfer, kein hässlicher Windradpark und keine endlosen Überlandleitungen.
Den Abschluss dieser Strecke nach St. George bot der Highway 12, der hoch oben über eine Gebirgskette durch den Dixie National Forest nach Boulder und Escalante in Richtung Panguitch, Bryce Canyon, führte. Teilweise ging es links und rechts neben der Straße tief in den Abgrund. Wer hier von der Straße abkommt, sollte einen Fallschirm mit im Auto haben.
Wer auf der Straße bleibt, wird mit grandiosen Panorama-Ausblicken belohnt, Berglandschaften soweit das Auge reicht. Welches Land kann diese landschaftliche Vielfalt, Schönheit und weitläufige Größe toppen?
Nevada nebenan: Viva Las Vegas?
Wenn man schon mal in der Gegend ist: Von St. George sind es knapp zwei Autostunden bis nach Las Vegas. Eine Stunde später kommt man an. Wie ist das möglich? Andere Zeitzone. Wer nach Nevada fährt, wird nicht von einem Landesschild begrüßt, wie das in anderen Bundesstaaten oder sogar bei uns (z.B. Sachsen-Anhalt: „Willkommen im Land der Frühaufsteher“) der Fall ist. Man ist dann aus Utah und Arizona kommend irgendwann einfach da. Dabei könnte sich Nevada als Spielcasino-Staat so ein Schild leisten. Vielleicht ist man sich nicht einig geworden, ob darauf ein Kaktus, eine Spielkarte oder ein durchgestrichener Brunnen im Land der chronischen Wasserknappheit zu sehen sein soll.
Jeder kennt die weltberühmte Casino-Stadt in der Wüste von Nevada zumindest aus dem Fernsehen. Gezeigt werden stets nächtliche, bunte Leuchtreklame-Szenerien. Showtime und Glamour. Es ist hip, in einer der vielen Hochzeitskapellen schnell und unbürokratisch vor der Spielcasino-Kulisse zu heiraten oder sein Geld beim Glücksspiel zum Fenster herauszuwerfen. Las Vegas ist in den USA gleichbedeutend mit Party. Aber jede Party endet irgendwann und am Tage sieht die Welt nüchterner aus.
Das erste Bild, das sich nach der Highway-Abfahrt von dieser Touristenattraktion am Vormittag bot, waren weder Kakteen noch Spielkarten sondern Obdachlose unter Autobahnbrücken. Dann Straßenzüge, wie man sie aus Miami kennt: Palmen-Alleen und bombastische Hotels, Casinos oder Hotel-Casinos. Das Ganze mit einem Schuss Disneyworld, mit teilweise verrückten Film- und Märchenmotiv-Fassaden. Zwischendrin viele Obdachlose oder Leute, die zumindest so aussehen. Vielleicht ist Las Vegas ein passendes Abbild dessen, was in den vergangenen Jahrzehnten aus dem amerikanischen Traum geworden ist: Viel Fassade – durchgedrehter Turbokapitalismus mit schalem Beigeschmack. Alle feiern, aber die wenigsten sind wirklich glücklich, weil sie so viel so hart arbeiten müssen, um zumindest ein kleines Stück dieses Traums genießen zu können. So könnte man Las Vegas in aller Oberflächlichkeit und Kürze abhandeln. Sicherlich hat die Stadt mehr Facetten. Aber um das herauszufinden, müsste man es hier länger als nur einen Tag aushalten.
Was die soziale Situation angeht, so rangiert Las Vegas in der US Kriminalitätsstatistik auf Platz 4 (gemessen an der Einwohnerzahl). Also Türverriegelung ein und Augen auf. Der große Las Vegas Thrill blieb aus und wir fuhren aus dem langweiligen Nest wieder zurück nach St. George, wo es tags darauf zum Schießen gehen sollte.
Zum Schießen komisch: Shooting Ranch
Die Pazifisten unter den geehrten Lesern sollten an dieser Stelle das Kapitel überspringen.
Ein großer Teil der Amerikaner findet es wichtig und richtig, eine Waffe zu besitzen. Das liegt vor allem in der Geschichte begründet, als es auf dem weitläufigen platten Land keine Polizei gab, die schnell vor Ort sein konnte und die Siedler sich vor Banditen selbst schützen mussten. Auch der Unabhängigkeitskrieg gegen die Engländer (an deren Seite Ende des 18. Jahrhunderts u.a. deutsche Söldner aus Hanau, Braunschweig, Bayreuth, etc. sowie ein paar Indianerstämme kämpften) konnten mit Hilfe der bewaffneten Siedler gewonnen werden. Das ist bis heute im US-amerikanischen Bewusstsein verankert. Auch hört man von Waffenbefürwortern das Argument, dass man im Falle einer sich anbahnenden Diktatur in der Lage ist, „die Freiheit im eigenen Land zu verteidigen“. Außerdem sollte ein Gleichgewicht zwischen gut und böse hergestellt werden.
Will heißen: Die Guten sollen zurückschießen dürfen. Eine Waffe erhöht das Sicherheitsgefühl. Und auch das Ego. In manchen Staaten wie in Colorado gibt es sogar eine „Open Carry„ Bewegung, die dafür eintritt, eine Waffe zum Beispiel beim Shoppen offen tragen zu dürfen. In den großen Malls in Colorado erlauben das die Shop-Besitzer aber nicht. Wahrscheinlich ist ihnen dieses martialische Gehabe gegenüber den zahlungskräftigen Touristen unangenehm.
Die Diskussion, ob Waffen nun legal sein sollten oder nicht, führt in den USA zu nichts. Dafür sind sie zu weit verbreitet und fester Bestandteil der Kultur. Würde man die Waffen verbieten, so hätten die meisten Amerikaner noch einige Guns unter dem Bett versteckt – die Kriminellen würden sie ohnehin weiter besitzen. Ein Unterschied zwischen den USA und Deutschland: Bei uns besitzen überwiegend die Kriminellen Waffen und wer jemanden erschießt bzw. zu Tode prügelt, kann nach 4-5 Jahren „guter Führung“ frei kommen, wenn er nachweist, dass er betrunken war und der Richter den Übeltäter wegen dessen schwerer Kindheit bemitleidet. In den USA besitzen überwiegend Nicht-Kriminelle eine Waffe und man erhält als Todesschütze laut Gesetz eine erheblich härtere Strafe; ganz ohne Alkoholausrede und Kindheitsgeschichte.
Das hängt auch davon ab, ob man sich einen guten Anwalt leisten kann und wie die Stimmung der Geschworenen ist. Hinzu kommen noch Justizirrtümer, die aufgrund der teilweise unzureichenden Beweisführung und ungenauer Rechtsprechung passieren. In manchen Staaten gibt’s dazu die Todesstrafe. Paradoxerweise ist dort die Kriminalität (auch) besonders hoch, wo die Waffengesetze schärfer sind. Ebenfalls ein Argument der Waffenlobby.
Mein Fazit in diesem Reisebericht: Es ist nicht die Waffe, von der die Gefahr ausgeht, sondern stets der Mensch, der sie trägt. Idealerweise sollte dieser zum Führen einer Waffe vorstrafenfrei, alt genug sein und ein hohes Verantwortungsgefühl besitzen.
In diesem Sinne wollte ich auch mal schießen üben und wir fuhren in St. George, Utah, zu einer Shooting Ranch. Hier muss man einen Führerschein vorlegen und einen Fragebogen ausfüllen (Vorbestraft? Aktuell angeklagt? etc.). Dann erhielten wir eine ausführliche Einweisung mit Sicherheitshinweisen und worauf man achten muss. Die meisten Waffen waren made in Germany.
Ich durfte mit einem der 26 Nationalsymbole von Utah (neben dem Bienenkorb, der Kirsche und der Zuckerrübe), einer 9 mm Browning (die in Utah von John Browning erfunden wurde) sowie einer deutschen, ebenfalls 9 mm, Sig. Sauer feuern. Die größeren Kaliber und automatischen Gewehre sparte ich mir, so groß ist die Waffenliebe dann doch nicht.
Schießen ist erschreckend einfach und auf ein stehendes Ziel in ein paar Metern Entfernung trifft man immer. Die Chancen, von einem Schützen nicht getroffen zu werden, erhöhen sich, wenn man sich seitlich und im unregelmäßigen Zickzack-Lauf von ihm wegbewegt. Glücklicherweise mussten wir das auf der Shooting Ranch nicht und trotz allem macht das Schießen Spaß.
Dieser Spaß verging uns, als wir ein paar junge Frauen im Laden sahen, die sich Pistolen ausliehen. Sie wirkten pubertär und ich hätte ihnen noch nicht einmal eine Wasserpistole ausgehändigt. Wer weiß, wie ihr Konfliktverhalten aussieht, wenn man ihnen in die Quere kommt.
Viel entspannter wirkte ein anderer Kunde. Von oben bis unten bewaffnet mit kugelsicherer Weste und automatischem Gewehr ausgestattet stand da ein tätowierter Glatzkopf. Er sah aus wie ein Biker. Wir kamen in’s Gespräch und es stellte sich heraus, dass er Kopfgeldjäger war. Sein Job: ausgebüchste Gefangene, entflohene Freigänger und gesuchte Straftäter dingfest machen und die für sie ausgesetzte Belohnung kassieren. Ein Beruf, den es schon seit dem Wilden Westen gibt. Damals mit Colt und Winchester, heute mit automatischen Waffen und High Tech-Ausstattung.
In den USA gibt es hierzu eine beliebte Reality-Serie: Dog the Bounty Hunter. Das ist eine Sendung über ein Kopfgeldjäger-Paar. Er sieht aus wie eine Mischung aus Hells Angels Rocker und Wrestling-Star und sie könnte als jüngere Schwester von Dolly Parton durchgehen – nur etwas korpulenter.
FORTSETZUNG TEIL II